Negative Verstärkung –
oder warum wir häufig Dinge tun, die uns kurzfristig helfen
und langfristig schaden können
Der Begriff der Negativen Verstärkung mag ein wenig irreführend sein, wenn man ihn zum ersten Mal hört. Daher versuche ich hier, ihn näher zu erklären und dabei natürlich das Thema Pornographie mit einzubeziehen. Denn die negative Verstärkung ist ein wichtiger Faktor bei einer Suchtentstehung.
In der Psychologie spricht man häufig von Grundbedürfnissen. Zu diesen zählen unter anderem das Bedürfnis nach Lustgewinn bzw. das Streben, Unlust zu vermeiden. Es geht dabei also darum, Dinge zu tun, die uns Lust bereiten und Dinge zu vermeiden, die uns Unlust bereiten.
Auf unserem Weg durchs Leben begegnen wir immer wieder Herausforderungen, die sich alles andere als angenehm anfühlen. Einsamkeit, Ängste, Sorgen, Verzweiflung, Scham, Wut, Trauer sind nur einige Beispiele.
Durch unsere generelle Tendenz, solche unangenehmen Gefühle nicht spüren zu wollen, suchen wir oft Betäubung und Ablenkung von ihnen. Dies geschieht übrigens sehr oft vollkommen unbewusst und automatisch.
Um aus Situationen von Unlust und Unangenehmen entfliehen zu können, müssen oft gar nicht besonders harte Maßnahmen, wie etwa Drogen oder Alkohol, herhalten. Denn bereits durch unsere künstlich erschaffene Welt findet sich reichlich Betäubung und Ablenkung: TV, Smartphone, Tablet, Laptop und das Internet.
Das Internet ist mehr oder weniger durchtränkt mit Pornographie. Sex sells – und das wird es immer tun. Einen Grund dafür habe ich bereits im ersten Blog-Artikel über den Coolidge-Effekt erläutert. Pornos sind natürlich ein sehr starkes Mittel, um unangenehmen Gefühlen und Empfindungen entfliehen zu können. Eine Flucht in eine rauschartige Welt, in der für die Dauer des Konsums keine unangenehmen Dinge gefühlt werden (müssen). In dem Fall übernimmt der Pornokonsum dann also eine Funktion – eine „Betäubungsfunktion“.
Darüber hinaus lässt sich durch den Konsum von Pornos aber auch unser Grundbedürfnis nach Lustgewinn in extremen Maße befriedigen. Zum einen führt der Pornokonsum also dazu, dass etwas Unangenehmes – etwas Negatives also – nicht erlebt werden muss. Zum anderen führt er dazu, dass etwas sehr Angenehmes – etwas Positives – sehr stark über einen längeren Zeitraum erlebt werden kann. Im ersten Fall spricht man von einer Negativen Verstärkung, im zweiten könnte man von einer Positiven Verstärkung sprechen. Wir bleiben jetzt aber bei der negativen Verstärkung. Was bedeutet das genau?
Unser Organismus prägt sich quasi automatisch ein, welches spezielle Verhalten dazu führt, dass etwas Negatives wegfällt oder wegbleibt. Das führt letztlich dazu, dass sich die Wahrscheinlichkeit, dass wir dieses Verhalten weiter aufrechterhalten, erhöht. Das spezielle Verhalten wird sozusagen verstärkt, wenn etwas Negatives wegfällt. Voilá Negative Verstärkung. Übersetzt heißt das: Der Konsum von Pornographie wird immer häufiger vom Gehirn verlangt, damit wir unangenehme Gefühle und Empfindungen, denen wir sonst ausgesetzt wären, nicht spüren müssen.
Diese negative Verstärkung ist ein weiterer psychologischer Mechanismus, der die Gefahr einer Suchtentwicklung stark erhöht. Und hierin liegt natürlich auch schon ein sehr wichtiger Faktor für den Ausstieg aus einer Sucht: ein sinnvoller Umgang mit unangenehmen Gefühlen und Empfindungen, der langfristig nicht selber zu einem großen Problem wird. In späteren Artikeln werde ich speziell auf dieses Thema weiter eingehen.
Der Pornokonsum hilft also – wie Drogen oder Alkohol – bei vielen nur kurzfristig, um sich gut und lebendig zu fühlen. Langfristig kann der Konsum Probleme extrem verstärken, oder auch erst ganz neue erschaffen! In dem Fall kann man dann also nicht mehr von einem sinnvollen Umgang mit unangenehmen Gefühlen und Empfindungen sprechen.
Mehr noch, es kann ein Teufelskreis entstehen. Probleme werden mit Mitteln betäubt, die langfristig noch mehr Probleme erzeugen, welche dann wieder mit denselben Mitteln betäubt werden sollen.
Natürlich beschreibe ich diese Mechanismen der Suchtentstehung bisher nur auf der psychologischen Ebene – also der Ebene unseres Erlebens und Verhaltens. Neurobiologisch spiegeln sich solche Mechanismen aber auch in unserem Gehirn und Nervensystem wieder. Und das ist sogar messbar!
In evolutionsbiologisch sehr wichtigen Bereichen unseres Gehirns – dem Belohnungssystem – werden unserem Erleben und Verhalten entsprechend ständig neue Nervenverbindungen angelegt, verstärkt oder aber alte abgebaut. So auch beim Pornokonsum.
Und diese neurobiologischen Veränderungen durch Pornokonsum führen letztlich auch dazu, dass man quasi immer mehr vom eigenen Gehirn „genötigt“ wird, zu konsumieren, wobei das Bewusstsein für mögliche Konsequenzen zwar da sein mag, aber die Kontrolle über das Verhalten nicht mehr richtig gelingen will.