Unser Gehirn, Sex und der Coolidge Effekt –
Wir werden belohnt, wenn wir Dinge tun,
die unserem Überleben dienen
Und womit werden wir vom Gehirn belohnt? Mit guten Gefühlen und Empfindungen! Ein Gefühl von Befriedigung, Glück und Wohlbefinden setzt ein, wenn wir etwas tun, dass unserem Überleben dient. Was aber hat Pornographie mit dem Ganzen zu tun? Nun, in Sachen Sex geht es natürlich genau darum – um das Überleben unserer Spezies. Ohne Sex würden wir logischerweise aussterben.
Bevor unser Gehirn uns jedoch mit solchen Wohlgefühlen belohnen kann, muss es erstmal ein Gefühl von „Haben-Wollen“ erzeugen – ein Verlangen also. Denn ohne ein solches Verlangen würden wir uns wohl erst gar nicht auf die Suche nach den Dingen machen, die unser Überleben sichern. Hier also die Suche nach Sexualpartnern bzw. Sexualpartnerinnen.
Nun ist es so, dass innerhalb der Evolution eine möglichst große biologische Vielfalt einen Überlebensvorteil hat. Daher ist unser Gehirn auch so „programmiert“, dass es darauf abzielt, unsere Gene möglichst breit zu streuen. Übersetzt heißt das soviel wie: Monogamie ist nicht unbedingt von der Biologie gewollt, sondern eher ein Produkt unserer Kultur.
An dieser Stelle sind wir an einem ersten wichtigen Punkt angelangt, der beim Konsum von Pornographie zum Tragen kommt – der oben genannte Coolidge Effekt. Dieser Effekt zeigte sich in der Forschung darin, dass männliche Versuchstiere (z.B. Ratten) nur so lange mit ein und demselben Weibchen sexuell aktiv sind, bis beim Männchen eine Art sexuelle Erschöpfung bzw. Sättigung eintritt. Das ist sogar im Gehirn der männlichen Ratten durch einen Abfall des Neurotransmitters Dopamin messbar. Dopamin ist u.a. für die Entstehung des Gefühls von Verlangen zuständig.
Das Männchen wird im Endeffekt mit demselben Weibchen nicht mehr sexuell aktiv. Kommt nun aber ein neues Weibchen ins Spiel, ist das sexuelle Desinteresse des Männchens verflogen, das Dopamin steigt wieder an und im Käfig geht es wieder rund. Dieser Effekt wurde, wie gesagt, Coolidge Effekt genannt.
Bei uns Menschen ist dieser Effekt ebenfalls beobachtbar. Bei Männern etwas mehr als bei Frauen. Hier spiegelt sich möglicherweise auch das Geschlechterverhältnis beim Pornokonsum wieder, denn Pornos werden im Schnitt auch mehr von Männern geschaut als von Frauen.
Der Coolidge Effekt zeigt also, dass unser Gehirn uns gerade auch bei neuen Sexualpartnern bzw. – partnerinnen mit Gefühlen von Verlangen, Lust und Befriedigung versorgt. Und was das mit Pornographie zu tun hat, kann man sich vielleicht schon denken. Es braucht nur einen Mausklick, und eine neue Pornoszene erscheint auf dem Screen. Auf diese Weise hat man quasi unendliche Möglichkeiten zur Verfügung, immer wieder neue Pornoszenen mit unterschiedlichsten Sexualpraktiken, Darstellern und Darstellerinnen zu sehen, und dabei selber sexuell aktiv zu sein.
Das Gehirn scheint es in dem Moment wohl nicht so richtig zu interessieren, dass man beim Pornokonsum in Wirklichkeit keinen realen Sex mit einem Menschen aus Fleisch und Blut hat, sondern lediglich auf einen Bildschirm starrt. Es antwortet, wie biologisch gewollt, mit einer Flut von Glücksbotenstoffen, wie z.B. Dopamin und Endorphine.
Eine Studie mit Männern, die quasi für die Forschung Pornographie konsumierten, brachte in dieser Hinsicht ebenfalls eine interessante Entdeckung hervor. Die Qualität und die Quantität des männlichen Spermas nahm zu, wenn die Probanden statt der „gewohnten“ eine neue Darstellerin im Porno sahen. Auch hier spiegelte sich sozusagen die evolutionsbiologische Absicht wieder.
Dieselben Glücksbotenstoffe, die beim Pornokonsum zum Einsatz kommen, werden auch bei Drogenkonsum im Gehirn flutartig ausgeschüttet – in denselben Hirnregionen. Und hierin besteht letztendlich auch das Suchtpotential. Das Gehirn will immer mehr von diesen Glücksbotenstoffen, denn es bewertet das Verhalten, das zu dieser Glücksflut führt, als überlebenswichtig. Und so steigert sich auch das Verlangen immer mehr. Durch die Möglichkeiten der digitalen Pornographie kann man diese Glücksflut per Mausklick künstlich hochhalten.
Es ist bei einer Pornosucht durchaus keine Seltenheit, wenn am Tag stundenlang dem Pornohobby nachgegangen wird. Eine Praktik, bei der die sexuelle (Eigen)Stimulation über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten wird, indem man kurz vorm Erreichen des Orgasmus die Stimulation kurz unterbricht, nennt sich übrigens Edging.
So ein lang anhaltendes „Glücksbad“ per Pornographiekonsum ist jedoch von der Natur so nicht beabsichtigt und kann eine künstliche Überstimulation für das Gehirn darstellen. Mit entsprechenden Folgen, wie wir an anderer Stelle noch sehen werden.
Die Bereitschaft unseres Gehirns, auf neue sexuelle Reize stärker mit Glücksbotenstoffen zu reagieren, und die technischen Möglichkeiten einer dementsprechenden Überstimulation durch Internetpornographie, ist also ein Faktor, der bei der Suchtentstehung zum Tragen kommt.
Ein weiterer ist ein Teufelskreis, der durch eine sogenannte Negative Verstärkung entsteht.